· 

Über Systemrelevanz der Kunst und Kultur

 

“Bitte, eilen Sie der Zeit voraus! Ich mache es mir hier noch gemütlich.” Bette Davis

 

Man kann dieses Zitat in dem Zusammenhang auch anders verstehen, als ich es meine. Ich bin nicht gegen Fortschritt oder Veränderung. Im Gegenteil, ich habe mein Leben schon immer im Wandel gelebt. Für mich geht es eindeutig darum: Ich will nicht, dass Kunst und Kultur immer mehr verschwinden. Ich will es mir in meiner Leidenschaft gemütlich machen, daran festhalten, daran glauben, dass ich in Zukunft (eine fair bezahlte!) Arbeit als Schauspielerin in Film und Theater haben werde!

 

Ich weiß, dass viele Branchen nun Probleme haben, ums Überleben kämpfen und alle haben mein Mitgefühl. Da ich aber nun mal Schauspielerin bin, beschäftigt mich natürlich die Situation in den Sparten, in denen ich tätig bin, am meisten. In den letzten Wochen habe ich diverse Diskussionen verfolgt, mich bei verschiedenen Online-Meetings beteiligt, die Maßnahmen der Regierung betreffend Kunst und Kultur verfolgt und all das hat mein positives Bild von der Zukunft sehr erschüttert.

 

Nun zeichne ich ein unwahrscheinliches Bild, aber es verdeutlicht das, was ich verdeutlichen will: Nehmen wir also an, Kunst und Kultur ist nicht systemrelevant und verschwindet. Wir können also in kein Theater mehr gehen, kein Konzert, kein Museum, keine Ausstellung, nicht ins Kino. Die Gastronomie würde sich freuen. Wir gehen also in Lokale oder bleiben zu Hause und konsumieren das was es noch an Onlineangebot und im TV zur Verfügung steht. Es wird aber nichts mehr Neues produziert, weil auch die Filmbranche tot ist. Ich betone noch einmal – natürlich, diese Extreme wird es nicht annehmen, aber es wird vielleicht eine Tendenz dorthin geben. Wenn nicht bald brauchbare Maßnahmen seitens der Regierung getroffen werden, kann es die Vielfalt nicht mehr geben und im Fernsehen sehen wir in den Hauptrollen statt den momentan üblichen zwei Hand voll immer gleichen Schauspielerinnen und Schauspielern nur mehr zwei und die restlichen acht spielen die Nebenrollen – das war´s dann nämlich an wirtschaftlich überlebenden Schauspielerinnen und Schauspielern. Der Rest wird zu Erntehelfern ausgebildet, für den Einzelhandel umgeschult oder als Kontrollorgane eingesetzt. Verzeiht mir meinen Sarkasmus.

Immer wieder hört man, dass Kunst und Kultur nicht systemrelevant seien. Da muss ich mich wirklich fragen, ob darüber nachgedacht wurde, was diese Aussage wirklich bedeutet. Kunst und Kultur hat es schon immer gegeben und wird es immer geben. Wenn ihr aber die Systemrelevanz genommen wird, wird sie sich extrem wandeln. Sie wird von einer Branche, in der viele Menschen leidenschaftlich beschäftigt sind zu einer Leidenschaft weniger, die noch mehr darum kämpfen müssen, ihre Daseinsberechtigung zu bekommen.

 

Die Filmbranche steht still

“4.500 Unternehmen und über 8.000 ArbeitnehmerInnen in der Film- und Musikwirtschaft sind von den Auswirkungen der Krise unmittelbar betroffen und in ihrer Existenz massiv bedroht” ist im offenen Brief des Dachverbandes der Österreichischen Filmschaffenden an die Österreichische Bundesregierung zu lesen.1 Zudem ist Österreich ein beliebter Drehort für ausländische Produktionen. Seit Beginn der Maßnahmen steht alles still. Auch in diese Branche fallen viele durch die Förderungsmaßnahmen. Von Seiten der Politik gibt es keine Anhaltspunkte wann man mit der Wiederaufnahme der Arbeit rechnen kann.

 

Theater goes Online

Im Bereich Theater, spüre ich sehr stark die Suche nach einer Möglichkeit die Zeit des Stillstands vor Ort mit einer Umlagerung in die virtuelle Welt zu überbrücken. Nicht jammern, sondern tun. Vielerorts wird das schon umgesetzt, vor allem über Streaming-Angebote. Es gibt auch bereits Versuche Theater live über Videokonferenz-Anbieter oder andere Plattformen anzubieten. Grundsätzlich finde ich das gut, dass sich Theater nun mit dem Medium Internet auseinandersetzen und dafür Lösungen suchen. Vereinzelt hat es das auch schon zuvor gegeben (Projekte im Bereich Immersives Theater, Game Theater etc.), aber bis auf die wenigen Beispiele ist das Internetzeitalter in dieser Brache ziemlich vorbeigegangen. Es ist gut, dass man nun im Zugzwang ist, aufzuholen.

Gleichzeitig wirft es für mich Fragen und Bedenken auf:

- Wenn wir die Menschen daran gewöhnen, dass es Theater nun auch gratis, ständig verfügbar und von zu Hause aus gibt, wird sich das auf den Besuch vor Ort und die Zahlungsbereitschaft nach Corona auswirken?

- Wie schafft man es, dass durch Onlineangebote etwas verdient werden kann? Vor allem in der freien Szene liegen die Gagen meist weit unter allem was „schön und recht“ ist. Wie wirkt sich die aktuelle Entwicklung darauf aus?

- Kann durch eine Aufzeichnung auch nur annähernd das vermittelt werden, was man vor Ort erleben kann?

Hier möchte ich mich in einer Antwort versuchen: Wenn es altes Material ist, nein. Ein Bühnenstück wird für die Bühne inszeniert! Dennoch kann ich mir vorstellen, dass man auch eine gute Aufzeichnung eines Theaterstücks liefern kann, nur wäre das für mich eine ganz andere Art und Weise des Zugangs.

- Kann durch ein Online Angebot generell das vermittelt werden, was Theater vor Ort ist?

Auch da kann ich es mir nicht vorstellen, dass das je erreicht werden kann. Wie soll man diese Atmosphäre, die in jedem Theater, egal ob groß oder klein, vorherrscht, je in ein Online-Angebot transferiert werden? In 2D – also vor dem Screen – wie soll da jemals auch nur annähernd das Gefühl entstehen, das wir haben, wenn wir in einem Theater sind. Klar, wenn VR-Brillen und Systeme für alle leistbar sind und man somit von zu Hause aus in dreidimensionale Räume treten kann, kommt man da schon ziemlich nah ran. Ich denke aber, dass dieses einmalige Gefühl, mit vielen anderen Menschen in einem Theater zu sitzen, die Verbindung zu den Menschen rundherum, dieses Gemeinschaftsgefühl, die Verbindung zu den Menschen auf der Bühne, diese Energie, die sich bildet und sich immer wieder verändert, ich glaube, dass all das nicht online umgesetzt werden kann. Es ist außergewöhnlich und lebt eben von dem realem Da-Sein. Jeder der schon einmal so ein Theatererlebnis hatte oder auch bei Livekonzerten war, weiß wovon ich schreibe.

 

Ein paar zusammenfassende Sätze aus meiner Sicht:

Kunst und Kultur gehört zur Menschheit. Wie soll sie dann nicht systemrelevant sein? Theater soll auch so bestehen bleiben, wie man es jetzt noch kennt. Alles andere kann ein wunderbares Zusatzangebot sein. Dringend notwendig für alle Sparten der Kunst und Kultur sind Entscheidungen und Maßnahmen der Regierung, die zum einen eine Wiederaufnahme der Arbeit ermöglichen, zum anderen Ausfälle ausgleichen.

 

1 https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20200427_OTS0103/offener-brief-des-dachverbandes-der-oesterreichischen-filmschaffenden-an-die-oesterreichische-bundesregierung

 

Photo by Clint Adair on Unsplash

 

PS: Eine Kommentarfunktion ist zum Kommentieren da. Egal ob anderer Meinung, ähnlicher Meinung, zusätzliche Infos, Inputs - ich freue mich über Austausch und Blickwinkelerweiterung. Danke!

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    Birgit Fuchs (Mittwoch, 13 Mai 2020 15:55)

    Aufgrund eines wertvollen Inputs, den ich als Reaktion auf diesen Artikel bekommen habe, kommentiere ich hier nun selbst, da ich das als Diskussionspunkt einwerfen möchte.
    Es geht darum zu überlegen, ob es bei der Frage über die Relevanz von Kunst und Kultur überhaupt um "Systemrelevanz" geht bzw. gehen soll, oder nicht doch eher um "Zivilisationsrelevanz". Der Begriff "Systemrelevanz" ist in einer Diskussion auf facebook im Zusammenhang mit Selbstüberhöhung genannt worden und, dass es stimmiger wäre von "Zivilisationsrelevanz" zu sprechen. Für mich war diese Begriffsidee eine gute und hat meine Überlegungen wieder weiter angefeuert. Denn der Begriff "Zivilisationsrelevanz" bringt weg von der Politik hin zu einem größeren wichtigeren und für mich auch richtigeren Blickwinkel, nämlich, dass Kunst und Kultur relevant für die Menschheit ist und nichts mit Politik zu tun haben muss; darüber hinausgeht über jedes System. Vielleicht sagt man mir mit dieser Einstellung eine noch größere Überschätzung der Wichtigkeit von Kunst und Kultur zu, aber das vertrage ich ;-) Wobei ich natürlich recht geben muss, dass es nicht die Massen sind, die Kunst und Kultur konsumieren und da das Angebot die Nachfrage übersteigt. Doch war mir persönlich nie die Masse wichtig um zu entscheiden ob etwas relevant oder nicht relevant ist. Das wäre doch auch fatal, denn oft ist es die Mehrheit, die in eine Richtung tendiert, wo alle Alarmglocken läuten (sollten!)... Mich interessiert: Wie seht ihr das?

  • #2

    Helga (Mittwoch, 13 Mai 2020 16:30)

    Ich bin ganz deiner Meinung liebe Birgit, bei all den vielen online Angeboten wird komplett auf die Wichtigkeit des zwischenmenschlichen, persönlichen Kontaktes vergessen, dazu gehört auch ein gemeinsamer kultureller Abend für mich! Ist mit keinem online Angebot vergleichbar! Es reicht schon, dass wir auf so viele wichtige Berührungen verzichten müssen, kein Mensch und kein Politiker denkt darüber nach, wie sich diese Maßnahmen auf unsere Seele auswirken! Mit Abstand darf man sich auch sonst überall begegnen, also warum nicht auch im Theater oder Konzert?? Würde der Menschheit sicher gut tun�

  • #3

    Birgit (Mittwoch, 13 Mai 2020 16:43)

    Danke Helga für deinen Beitrag. Das was du ansprichst führt auch bei mir zu dem großen Unverständnis, was die Maßnahmen betrifft: Überall dieser eine Meter Abstand und im Theater kommen sie mit 20qm für jeden... Bei so unlogischen Entscheidungen, fragt man sich manchmal schon, wie diese zustande kommen...20 qm für jeden heißt im Klartext: Stillstand. Wie soll das umsetzbar sein? Bin neugierig, was die neuen Maßnahmen, die am Freitag für Kunst und Kultur beschlossen werden, beinhalten...
    Genauso diese Behauptung, dass es nie Verbote im privaten Bereich ausgesprochen wurden, ist so etwas, wo ich mir denke: Wo bleibt da ein Funke Ehrlichkeit? Wurde nicht sogar mit Strafen gedroht? Wie oft wurde, vor allem um Ostern, das Wort "untersagt" verwendet? Mit Angst und Panik ist so viel steuerbar und das macht mir Bedenken!